Donnerstag, 18. Juli 2013

Wikipedias Einfluss auf den Bundestagswahlkampf

Beim Hamburger Wahlbeobachter stellte Markus Franz am Montag die These auf, dass die Wikipedia-Relevanzkriterien die Direktkandidaten kleinerer Parteien massiv benachteiligten. Ich habe exemplarisch ein bisschen in die Statistik geschaut, um den tatsächlichen Einfluss einzuschätzen. Willkürlich griff ich mir den Wahlkreis Krefeld II / Wesel II heraus. Einerseits, weil dort traditionell Hinterbänkler gewählt werden, andererseits, weil auch ich 2009 dort abgestimmt habe.

Bei der Bundestagswahl 2009 wurden dort rund 128.000 gültige Erststimmen abgegeben, der Wahlkreisgewinner Siegmund Ehrmann (SPD) erhielt davon 50.636. An die Zweitplazierte Kerstin Radomski (CDU) gingen 44.906.  Michael Terwiesche (FDP) ,  Wolfgang Klinger (LINKE) und Ulle Schauws (GRÜNE)  bekamen 11.098,  10.123 und 9.462 Stimmen.

Zwei dieser Kandidaten, Siegmund Ehrmann und Michael Terwiesche, hatten bereits einen Sitz im Bundestag, damit erfüllten sie die Wikipedia-Relevanzkriterien und sie hatten schon einen Wikipedia-Artikel. Kerstin Radomskis Artikel war 2008 angelegt und sehr schnell wieder gelöscht worden.

Ehrmanns Artikel wurde im Wahlmonat 297 mal aufgerufen, Terwiesches 151 mal. Das sind jeweils doppelt so viele Aufrufe wie in jedem durchschnittlichen Monat, die Zahlen haben sich seit 2009 auch kaum geändert.

Setzen wir die Zahl der Artikelaufrufe ins Verhältnis zur Zahl der abgegebenen Stimmen: 0,35%. Ein erheblicher Teil dieser Leser wird nicht einmal im Wahlkreis wahlberechtigt sein.
Gesetzt den Fall, einer dieser Artikel hätte die Wahlentscheidung aller seiner Leser in dieselbe Richtung beeinflusst, hätte dies nicht einmal zu einem Wechsel auf den hinteren Plätzen geführt. So langweilig neutral, wie sich die beiden Wikipedia-Artikel im Wahlmonat präsentierten - die jeweils kontroverseste Information ist die Parteizugehörigkeit - dürfte die Lektüre eigentlich keine einzige Wahlentscheidung geändert haben.

Das könnte natürlich anders aussehen, wenn in einem Artikel umfangreiche Kontroversen stehen und der Kritikabschnitt den Rest um ein Vielfaches überragt. Hier sind aber gerade die im Vorteil, die keinen Wikipedia-Eintrag haben.

tl;dr:
Die Existenz eines Wikipedia-Artikels hat keinen messbaren Einfluss auf das Wahlergebnis eines Direktkandidaten.

3 Kommentare:

  1. Schöner Ansatz Herr Krichel, nur leider nicht Realität 2013.

    Nur einige Schlagworte:
    Exterme Zunahme des Breitbandausbaus, starke Zunahme der DSL-Verbreitung, Existenz der mobilen Nutzung des Internets, starke Zunahme der Internetnutzung in allen Altergruppen insbesondere bei den Älteren (mit hoher Wahlbeteiligung), Zunahme der Relevanz von Wikipedia in den vergangenen vier Jahren usw...

    Die Welt hat sich seit 2009 sehr viel und sehr schnell weitergedreht.

    Ich verweise gerne nochmal auf die Forsa-Studie und die 60% Deutschen die sich über politich im Internet informieren: http://www.hamburger-wahlbeobachter.de/2013/05/wie-wahlentscheidend-ist-das-internet.html

    Und auf die teilweise fünfstelligen Zugriffsraten auf Wikipediaseiten von eher unbekannten MdB aus der zweiten und dritten Reihe.

    Beste Grüße
    Martin Fuchs

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  2. Bei meinem durchschnittlichen Hinterbänkler hat sich in vier Jahren nichts an den Zugriffszahlen getan, den meisten anderen von mir beobachteten geht es ähnlich. Wer ist den der MdB aus der dritten Reihe mit den fünfstelligen Zugriffszahlen? Wo kommen die Zugriffe her, und hat er wirklich einen Vorteil davon oder nur eine vielbeachtete Skandalbiographie auf dem ersten Googletreffer?

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  3. Fünfstellige Zugriffszahlen sind in der Tat die Ausnahme, aber vierstellige Zugriffszahlen sind durchaus Normalität. Siehe u.a. einige Beispiele in meiner Kolumne für die "politik & kommunikation" (http://www.hamburger-wahlbeobachter.de/2013/06/wikipedia-im-wahlkampf-vergesst.html).

    Und glauben Sie mir, dies ist mit Abstand ein Vielfaches von dem was an Traffic auf den Webseiten der Politiker passiert.

    Und am Ende des Tages geht es auch nicht um die "Zugriffszahlen-Schwanzvergleiche" sondern um die gleichberichtige und faire Möglichkeit der Präsentation in der wichtigsten Online-Enzyklopädie der Welt.

    Dies war der Ansatz für die Kritik an den aktuell gültigen Relevanzkriterien.

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